Kinderwelten - Engelwelten

Krabbelgruppe in Chemnitz - Wissenswertes über Kinder, Erziehung und all die "Familienthemen" - Nettigkeiten - Neuigkeiten - Termine

Seit 2008 leite und konzipiere ich von mir gegründete Eltern-Kind-Gruppen. Die gemeinsam mit den Eltern initiierten Diskussionspunkte finden neben anderen mir wichtigen pädagogischen Themen in diesem Web- Blog den nachhaltigen Zugang zu weiteren interessierten Familien.

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Mittwoch, 15. August 2012

Hyperaktive Eltern

"Eltern sind hyperaktiv geworden" - Jesper Juul
SchülerStandard

Kinder brauchen Eltern, die ihnen vertrauen, und Politikermit einer echten Vision für die Schule, sagt der dänische Familientherapeut und Bestsellerautor Jesper Juul zu Bettina Reicher. 

Standard: Dieses Unabhängigwerden geht ja auch mit Verantwortlichkeit einher. Müsste man Kindern
und Jugendlichen nicht auch im öffentlichenRaumdiese Verantwortung zutrauen und sie einbinden,
wenn es um Schule oder Freiraumgestaltung geht?
Juul: Selbstverständlich! Aber Kindererziehung war ja schon immer ein Machtkampf. Und Erwachsene
haben diese tiefe Angst in sich, „wenn wir das ermöglichen, dann übernehmen die Kinder die ganze Macht und entscheiden sich gegen uns“. Aber so ist es nicht.
Standard: Diese Angst spiegelt sich ja auch in dem negativen Bild wider, in dem Jugendliche gesehen
werden. Ihre Handlungen werden rasch kriminalisiert, und sogar über Erziehungscamps wurde in
Österreich schon nachgedacht.Wie geht es Ihnen, wenn Sie das hören?
Juul: Für mich ist das sehr traurig. Denn wir haben in den letzten 50 Jahren ein ganz neues Bild von kleinen Kindern und Erwachsenen bekommen. Doch in Bezug auf Jugendliche und alte Menschen hat sich nichts geändert. Die Gesellschaft und die Schulen sind in einer Abwehrhaltung. Natürlich wirkt das auf die Jugendlichen ein. Was soll ich mit einer Gesellschaft, die mich als Feind erlebt? Und man fokussiert immer mehr auf das Verhalten und die Symptome. Das ist sehr unglücklich. In Norwegen und Schweden liegt die Rate der Schulabbrecher – wie in Deutschland – bei ungefähr 25 Prozent. Schulpsychologen, Lehrer und Eltern sind mit ihren Versuchen, diese Kinder zu motivieren, gar nicht erfolgreich. Wir haben in Norwegen vor zwei Jahren das „Pöpelprojekt“ gestartet, wo wir mit 200 Jugendlichen arbeiten und 96 Prozent Erfolg haben. Doch „Die Eltern sind irgendwie hyperaktiv geworden“ 
Standard: Viele Eltern sind in der Theorie scheinbar gut informiert über Erziehung. In der Praxis sieht es dann oft anders aus. Was sind die häufigsten Probleme, mit denen sich Eltern an Sie wenden?
Juul: Es stimmt, dass Eltern sehr gut informiert sind. Aber Tatsache ist doch, dass unser Verhalten den
Kindern gegenüber selten vom Kopf, sondern vielmehr vom Bauch ausgeht. Kinder berühren und provozieren uns auf einer ganz existenziellen Ebene, zu der wir oft keinen Zugang haben. Deshalb ist uns unser Verhalten auch oft so fremd. Wenn ich Eltern treffe, die sich überfordert fühlen, erlebe ich oft, dass diese Eltern viel zu viel an der Erziehung arbeiten.Denn der Trend der letzten zehn Jahre lautet, dass man ständig erziehen und die Kinder immer unter Beobachtung haben muss. Die Eltern sind irgendwie hyperaktiv
geworden. Und das ist schade. Denn es wird unangenehm für die Kinder, wenn sie keine Rückzugsmöglichkeit haben oder mit Erwachsenen zusammen sein müssen, die ihnen nicht einfach vertrauen
und sie genießen können. 
Standard: Wie sollte die Elternrolle sinnvoller aussehen? 
Juul: Dass man sich Zeit nimmt und das dem Kind auch sagt. Zum Beispiel: „Es war ein langer Tag,
und jetzt setze ich mich eine halbe Stunde aufs Sofa.“ Damit gibt man den Kindern ein gutes Signal.
Denn gerade Kinder, die in den Kindergarten gehen, sind oft überstimuliert. Sie bekommen so viele
externe Anregungen, dass sie kaum die Möglichkeit haben, zu sich selbst zu kommen. Zu Hause sagen die Kinder dann: „Jetzt ist mir langweilig.“ Und das ist ein sehr gutes Zeichen. Jetzt braucht das Kind aber keine Unterhaltung mehr, sondern muss die Möglichkeit haben, zu sich kommen zu können. Man kann dem Kind
antworten: „Herzlichen Glückwunsch! Es wird interessant sein zu sehen, was du in 20 Minuten machst.“ Denn wenn man es auch nur eine halbe Stunde lang aushalten kann, nichts Besonderes zu tun, setzt die Kreativität ein.
Standard: In Ihrem neuen Buch „Elterncoaching“ appellieren Sie geradezu an die Eltern, stärker auf ihre eigenen Bedürfnisse zu hören. 
Juul: Ja, denn das hat einen positiven Effekt auf die Kinder. Im Kindergarten lernen Kinder viel darüber,
Kind zu sein. Zu Hause müssen sie auch lernen, wie es ist, erwachsen zu sein. Es ist wichtig, dass die Eltern nicht immer etwas kinderfreundliches machen. Kinder lernen rasch, das zu akzeptieren und genießen das auch.
Standard: Haben Sie den Eindruck, dass sich Väter besser abgrenzen können als Frauen?
Juul: Na ja, für Mütter ist es ja irrsinnig schwierig, Nein zu sagen. Was aber in meiner Bedeutung heißt, Ja zu sich selbst zu sagen. Doch dieses Nein erleben Mütter als Vernachlässigung und denken, „jetzt habe ich die Liebe von meinem Kind weggenommen“ – weil sie Liebe so verstehen, immer da sein zu müssen.
Standard: Woher kommt dieses Gefühl unter Müttern? 
Juul: Ich glaube, es ist auch ein kultureller Konsens: So muss ich es machen, um keine „Rabenmutter“
zu sein. Denn in 99 Prozent unserer Geschichte war ja die Abgrenzung der Frau verboten: Sie musste
als Mutter und Partnerin immer zur Verfügung stehen. Die Aufmerksamkeit, die die Kinder in den ersten 1,5 Jahren einfordern, ist extrem wichtig. Doch danach können sie auch sehr gut mit weniger leben. Es ist
keine Einbahnstraße, dass ich als Erwachsener immer nur geben muss: Denn das macht passive,
hilflose und abhängige Kinder. Oder Kinder, die sehr stark dagegen ankämpfen.
es ist nur deshalb erfolgreich, weil es dabei keine Fachleute gibt. Goethe hat mal gesagt: „Manmerkt die
Absicht und ist verstimmt.“ Genau das wollen die Jugendlichen nicht. Sie haben immer erlebt, dass die Eltern eine Absicht hatten hinter dem, was sie sagten. Doch wenn man mit diesen Jugendlichen redet, dauert es nur einige Monate, und sie sind in einer Ausbildung oder in der Schule zurück. Sie brauchen nur die Erlaubnis:
„Du darfst so sein, wie du bist, und wir vertrauen dir. Wir wissen, dass dein aktuelles Verhalten nur
ein doofes Symptom ist.“
Standard: In Österreich gibt es derzeit eine breite Debatte darüber, wie man das Schulsystem reformieren
soll. Was müsste sich ändern, damit sich die Schüler in der Schule wohlfühlen können?
Juul: Ich glaube, dass diese strukturelle Diskussion für die Kinder keinen Unterschied macht. Es geht nur darum: Wie können wir gute Beziehungen zwischen Lehrer und Schülern gestalten? Denn wenn die Beziehungen in Ordnung sind, können die Kinder mit allen möglichen Arten von Schule leben. Aber um ehrlich zu sein: Schule ist ja nicht für die Kinder gemacht! Schule ist ein sehr wirksames politisches Instrument. Diese geteilte, selektive Schule gehört zu der frühen Industriegesellschaft, die wir überhaupt
nicht mehr haben. Es gibt auch leider keine politische Vision und Schulpolitiker, die wie Leuchttürme dastehen und sagen: „Jetzt machen wir Schule für die Zukunft!“ Derzeit sind es immer nur Reparaturen, und es ist diese ewige strukturelle Debatte, wo viel Ideologie einfließt. Wichtig wäre es, die Schulen so zu gestalten, dass die Grundbeziehungen zwischen Lehrern und Schülern eine qualitative Änderung erleben. Kinder und Jugendliche müssen spüren, dass sie angenommen werden, o wie sie sind, sagt Jesper Juul.
Durch eine gute Beziehung zu Eltern und Lehrern und weniger Leistungsdruck könnte sogar die Schule
wieder Spaß machen.


Ein Lehrer hat mir erst kürzlich gesagt: „Die Schulen haben immer schon viele Kinder kaputtgemacht,
heute machen sie auch die Lehrer kaputt.“ Unsere Regierungen sind dafür verantwortlich zu machen, den Lehrern eine anständige Ausbildung und gute Arbeitsplätze zu geben. Denn die Schulen sind ja keine professionellen Arbeitsplätze, sondern bürokratische. Und trotzdem sollen die Lehrer eine Profession ausüben. Das merkt man leider. 
Standard: Dass die Schulen viele Kinder kaputtmachen, belegen aktuelle Zahlen: 60.000 Schüler in
Östereich sind burnoutgefährdet, 150.000 fühlen sich stark belastet. 
Juul: Ja, das ist ein Wahnsinn. Aber es gibt ja auch einen Bildungsdruck, der unvorstellbar ist – von allen Seiten. In Schweden redet man über die nettenMädchen, die es in der Schule schaffen, gehorsam sind und alles machen, was die Erwachsenen wollen, pflichtbewusst und vorbereitet. Und die kommen jetzt mit riesengroßen Stresssymptomen und mit psychosomatischen Störungen: Die Uniklinik in Stockholm verzeichnet eine Steigerung von psychosomatischen Krankheiten bei Kindern von mehr als 350 Prozent in
den letzten zehn Jahren. Darum sollte sich unsere Gesellschaft kümmern. Denn das kostet viel Geld, und es leiden alle darunter. Aber die Politiker sitzen nur da mit ihren Pisa-Psychosen. Dieses Denken, jetzt müssen wir es so machen wie die Chinesen, ist so dumm! So wie Schule in Österreich derzeit funktioniert, macht
man die Kinder unbegabt – von Anfang an. Dafür sollte man sich interessieren. Man braucht keine
neuen Gesetze, nur sehr gute Führungskräfte, Möglichkeit zur Supervision und kollegiale Kooperationen,
die auf professioneller Ebene stattfindet.

JESPER JUUL, geb. 1948 in Dänemark, ist Familientherapeut und gründete das Kempler Institute of Skandinavia sowie die internationale Organisation Familylab zur Elternberatung und Kompetenzentwicklung.
pwww.familylab.at
BUCHTIPP
Die dreijährige Ella hat ständig Wutausbrüche. Ihre Eltern sind verzweifelt. Der sechsjährige Adam verstummt nach der Geburt seiner Zwillingsschwestern, und eine Patchworkfamilie kämpft mit der Herausforderung, zusammenzuwachsen. Der dänische Familientherapeut und Autor Jesper Juul, bekannt
geworden unter anderem durch Dein kompetentes Kind oder Nein aus Liebe, nimmt sich in seinem
neuen Buch Elterncoaching der Probleme von 18 Elternpaaren an und versucht ihnen sehr wertschätzend
zu vermitteln, dass das, was sie machen, oft schon zu viel das Guten ist. Mütter und Väter sollten lernen,
ihre Bedürfnisse zu artikulieren und ihre Kinder so zu nehmen, wie sie sind. (rebe)
Jesper Juul:
„Elterncoaching. Gelassen erziehen“; Beltz 2011

So wie Schule in Österreich funktioniert, macht man die Kinder unbegabt – von Anfang an.
TIPPS
Fliegende Klassenzimmer Die Räume, in denen wir lernen, haben sich seit über hundert Jahren
kaum verändert. Nach wie vor ist das Klassenzimmer mit neun mal sieben Metern der vorherrschende
Ort. Bei der Ausstellung Fliegende Klassenzimmer, die ab 3. März im Architekturzentrum Wien zu sehen
ist, können manipulierte Möbel und dehnbare Räume erlebt werden. Parallel finden Diskussionen
statt. pwww.azw.at
Wandelbare Ideen 
Mit dem Wettbewerb  „Ideen Initiative Zukunft“ fördert die Deutsche Unesco- Kommission gemeinsam mit dm Initiativen, die sich mit alternativen Energien, Nachhaltigkeit oder Armut befassen. Das Projekt „schüler.gestalten.wandel“ hat unter 4200 Projekten einen der Preise sowie eine Förderung von 1000 Euro gewonnen. Über 750 Schüler und fast 40 Unternehmen sind derzeit beteiligt, eine Anmeldung ist noch möglich.
pwww.schuelergestaltenwandel.at
Nähere Infos zum SchülerStandard
bei: bettina.reicher@derStandard.at
Grasser, Guttenberg&Co Hans Rauscher Seite 35 Konkurrenz im Schiedsrecht Recht Seiten 32, 33
Mi., 2. März 2011 31

1 Kommentar:

  1. Hallo Katja,
    danke für den Artikel! Bei nächsten Besuch in der Bücherei werde ich mir Bücher von Jesper Juul ausleihen. Ich möchte mehr erfahren....

    LG
    Birgit

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